Sinkende Sterne
Roman
von Thomas Hettche
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Erscheinungstermin 07.09.2023 | Archivierungsdatum 04.05.2024
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Zum Inhalt
Ein einsames Haus in den Bergen und eine Naturkatastrophe, nach der ein Schweizer Kanton sich plötzlich lossagt von unserer Gegenwart: »Sinkende Sterne« ist ein virtuoser, schwebend-abgründiger Roman, in dem eine scheinbare Idylle zur Bedrohung wird und der uns tief hineinführt in die Welt der Literatur selbst.
Thomas Hettche erzählt, wie er nach dem Tod seiner Eltern in die Schweiz reist, um das Ferienhaus zu verkaufen, in dem er seine Kindheit verbracht hat. Doch was realistisch beginnt, wird schnell zu einer fantastischen, märchen-haften Geschichte, in der nichts ist, was es zu sein scheint. Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt und das Wallis zurück in eine mittelalterliche, bedrohliche Welt. Sindbad und Odysseus haben ihren Auftritt, Sagen vom Zug der Toten Seelen über die Gipfel, eine unheimliche Bischöfin und Fragen nach Gender und Sexus, Sommertage auf der Alp und eine Jugendliebe des Erzählers.
Grandios schildert Hettche die alpine Natur und vergessene Lebensformen ihrer Bewohner, denen in unserer von Identitätsfragen und Umweltzerstörung verunsicherten Gegenwart neue Bedeutung zukommt. Im Kern aber kreist die musikalische Prosa dieses großen Erzählers um die Fragen, welcher Trost im Erzählen liegt und was es in den Umbrüchen unserer Zeit zu verteidigen gilt.
Ein einsames Haus in den Bergen und eine Naturkatastrophe, nach der ein Schweizer Kanton sich plötzlich lossagt von unserer Gegenwart: »Sinkende Sterne« ist ein virtuoser, schwebend-abgründiger...
Verfügbare Ausgaben
AUSGABE | Anderes Format |
ISBN | 9783462050806 |
PREIS | 25,00 € (EUR) |
SEITEN | 224 |
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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder
2.5 Sterne. Glaube ich...
Ich weiß immer noch nicht so genau, was ich da gelesen habe. Da ich bis jetzt nur Herzfaden von dem Autor kenne (und liebe), kann ich auch nicht einordnen, ob seine Bücher alle etwas seltsam sind.
Das Buch fängt damit an, dass der Autor (oder doch nur der Erzähler?) in das Schweizer Haus seines verstorbenen Vaters fährt. Ab da fängt es an, etwas abenteuerlich zu werden, und ich für meinen Teil kann mich nicht entscheiden, ob alles, was nach seiner Anlunft passiert ein Traum oder Rausch ist (das würde das ganze jedenfalls einfacher erklären). Unter wirklich schöner und gut zu lesener Sprache (was auch der einzige Grund ist, warum ich das Buch nicht schlechter bewerten möchte, obwohl ich wirklich nicht verstanden habe, was ich da lese) ist eine Diskussion über Wirkung und Funktion von Literatur und Kunst. Aber mehr kann ich beim besten Willen nicht sagen. Es ist definitiv ein seltsames Buch. Ich kann mich nur nicht entscheiden, ob ich es gut seltsam oder einfach nur seltsam seltsam fand...
Ich bin eine Kraft der Vergangenheit
Was im Klappentext beschrieben ist, wird auf leicht opetische und reflektierende Art erzählt.
Der rrzähler reist in die Scheeiz in das Ferienhaus seiner Eltern, das seiner Jugend. Dss erweckt natürlich Erinnerungen. Und sie führen ihn eeitrr durch Stationen seines Lebens.
Hettches Blick auf die Vergangenheit ist teils wehmütig verklärend, teils bereuend und desilludioniert, doch die Gegenwart ist erschreckend.
Beeindruckend auch die vielen Zitate aus Film und Literatur sowie Philosophie. Dennoch behindert dass das handlungsorientierte.
Es tat gut, mal wieder ein Buch von einem Autor zu lesen, dem die Sprache wichtig ist und die er sorgfältig einsetzt
Thomas Hettche schreibt in seinem biografischen Roman über die Zeit im Haus seiner Kindheit im Wallis, zu dem er nach dem Tod seiner Eltern gereist ist. Wunderbar poetisch erzählt er von der Natur, von Erinnerungen und wieder aufflammenden Gefühlen. Doch kaum habe ich mich in diese Szenen hineingefunden, wurde ich jäh unterbrochen von literarischen philosophischen Abhandlungen über Odysseus oder anderen, teilweise unsinnigen Fantastereien. Diese habe ich überblättert und habe mich an dem feinfühligen, wunderbar geschriebenen
Rest ergötzt.
T. Hettche erzählt von seiner Reise ins Wallis zum Ferienhaus
seiner verstorbenen Eltern und zu den Erinnerungen seiner eigenen Jugend.
Seine Sprache ist sehr poetisch.
Er trifft seine Jugendfreundin Marietta wieder und begleitet sie eine Zeit lang,
das weckt viele Erinnerungen.
Diese sind verbunden mit Literatur, z.B. Odyssee, Sindbad, Rilke.
Auch Filmzitate und philosophische Betrachtungen leben in ihm wieder auf.
Der Autor hat ein gewaltiges Sprachtalent, das fordert und macht viel Freude.
Thomas Hettches Roman „Sinkende Sterne“ ist keine leichte Kost. Der Autor erzählt, wie er nach dem Tod seiner Eltern in die Schweiz reist, um das Ferienhaus zu verkaufen, in dem er seine Kindheit verbracht hat. Doch ein Bergsturz hat das Rhônetal in einen riesigen See verwandelt und das Wallis zurück in eine mittelalterliche, bedrohliche Welt. Mich hat das Buch zunächst angesprochen, weil ich einige Sommerurlaube im Wallis verbracht habe. So konnte ich mich gut in die Kulisse und die erwähnten Orte versetzen. Hettche beschreibt die Naturkulisse hervorragend. Seine märchenhaften Fantasien haben mir – trotz ihrer eher bedrohlichen Auswirkungen – großen Spaß gemacht. Der Autor verwebt in die fantastische Geschichte die unterschiedlichsten Themen (Wokeness, Gender, Rassismus, Umwelt, Isolation…) und literarische Bezüge (die Bibel, Sindbad und Odysseus, Rilke, Kafka…). Dies ist anspruchsvoll und ohne entsprechende Kenntnisse nicht immer nachvollziehbar. Es geht um das Leben an sich und die Bedeutung der Literatur in den gesellschaftlichen Umbrüchen unserer Zeit. Das Buch gefällt sicher nicht allen Leser:innen. Zur Vertiefung und einem besseren Verständnis sollte man es mehrfach lesen. Doch aus meiner Sicht lohnt sich die Lektüre auf jeden Fall. Zusammenfassend: ein sprachlich reicher und inhaltlich ungewöhnlicher Roman.
"Sinkende Sterne" von Thomas Hettche
Es ist mein zweites Buch von Hettche. "Die Pfaueninsel " war ein großer Publikumserfolg und als Berlinerin, die ganz in der Nähe der Pfaueninsel aufgewachsen ist, hätte es mich interessieren können, doch damals hat mich die umständlichen Erzählweise und das langsamen Erzähltempo aus dem Lesefluss geworfen. Doch - vielleicht war mein Leben damals einfach zu voll mit anderen Dingen. Für das Lesen von Hettche-Büchern muss man sich Zeit nehmen. Sich Zeit lassen. Nicht nur für seine (historischen) Romane, sondern auch für seine essayistisch-erzählerischen Erkundungen, mit denen er - wie es sein Verlag nennt - seine intellektuelle Autobiografie fortschreibt.
Hettche denkt viel und genau nach. Er sieht zweimal hin und verlangt das auch von der Leser:in. Wir reden gerne davon, dass die Welt sich verändert, dass eine Klimakatastrophe droht, das alles anders werden muss - aber was bedeutet das genau? In "Sinkende Sterne" entwirft Hettche eine auf den ersten Blick realistische Situation, die aber immer absurder und fiktiver wird. Ist das unserer Zukunft? Oder ein (Alb)-Traum? Auf jeden Fall bringt es unsere eingefahrenen Gedanken durcheinander und macht uns offen für neue Denkansätze. Lesen heißt bei Hettche mehr Mitdenken als sich berieseln zu lassen. Und das schätze ich.
Die Handlung ist eine interessante Mischung aus Erinnerung und Fiktion.
"Thomas Hettche erzählt, wie er nach dem Tod seiner Eltern in die Schweiz reist, um das Ferienhaus zu verkaufen, in dem er seine Kindheit verbracht hat. Doch was realistisch beginnt, wird schnell zu einer fantastischen, märchen-haften Geschichte, in der nichts ist, was es zu sein scheint. Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt und das Wallis zurück in eine mittelalterliche, bedrohliche Welt. Sindbad und Odysseus haben ihren Auftritt, Sagen vom Zug der Toten Seelen über die Gipfel, eine unheimliche Bischöfin und Fragen nach Gender und Sexus, Sommertage auf der Alp und eine Jugendliebe des Erzählers. "(Quelle: Verlag)
Schreibstil
Um es gleich zu sagen, Hettche Schreibstil ist nicht meins. Langsames Erzähltempo, eine antiquierte Sprechweise, lange Sätze. Aber es ist ein guter Stil und daher kann ich es genießen. Eine andere Sprachwelt, auf die ich mich einlassen muss und die mein Lese- und Lebenstempo erst einmal herabsetzt. Vielleicht gar nicht so schlecht, mit Hettche alles ein wenig langsamer anzugehen. Genauer hinzusehen, die Gefühlen, die manchmal unaufgefordert hervorpoppen ein wenig gründlicher zu untersuchen. Das ist ganz besonders der Fall, wenn man sich seine eigene Kindheit ansieht, wo alles einmal selbstverständlich war und im Rückblick manchmal unverständlich wird.
"Ich strich über das Lederläppchen, das der Vater eines Tages über das Schloss genagelt hatte, ich stand als Knabe dabei. Jetzt klappte ich es hoch, und es brach mürbe um die verrosteten Nägelchen herum ab. Das ist der Beweis, dachte ich. Beweis wofür? Dass es mich gibt? Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ins Schloss, das tatsächlich nicht verstopft war und sich schließen ließ, als wäre ich nur kurz weggewesen und nun wieder zurück." ("Sinkende Sterne", S. 7)
Der Autor
Thomas Hettche ist 1964 am Rand des Vogelsbergs geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Filmwissenschaft und lebt heute als freier Schriftsteller in Berlin und in der Schweiz. Thomas Hettche ist Mitglied des PEN und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Fazit
Nicht meins, aber ein Buch, für das mir sofort Leser:innen in meinem Bekanntenkreis einfallen. Ein Buch, das sich - wie alle Hettche-Bücher - leicht empfehlen lässt, denn es ist ein "Markenprodukt". Es hat den Hettche-Sound und Stil und ist mit Sorgfalt geschrieben. Seltsam, dass mir das zu einem Buch einfällt, aber ich glaube, das trifft es gut.
Der Erzähler, der wie der Autor Hettche heisst, fährt ins Wallis, ins Haus seiner Eltern, in dem er alle seine Ferien als Kind verbracht hat. Im Wallis hat ein Bergsturz die Rhone aufgestaut, mehrere Täler überflutet und das Gebiet vom Rest der Schweiz abgeschnitten. Der Erzähler hat soeben seinen Uni-Job verloren, weil er als Dozent mit seinen Themen (Odysseus) nicht mehr zeitgemäß sei. Im Wallis wehrt er sich mit Hilfe eines Notars und dem Schutz der Bischöfin von Sion gegen die drohende Enteignung und Ausweisung. Er trifft die Gefährtin seiner Kindheit wieder und lässt sich von deren Tochter Serafina mitnehmen in die Mythenwelt des Wallis. Daneben geht es um Geschlechtsidentität, Kulturkritik, um Klima und Popkultur. Vor allem aber geht es um das Schreiben und um Literatur. Themen, die Hettche in einer dichten, poetischen Sprache behandelt.
Eine anspruchsvolle Lektüre, die unbedingt lohnt.
Der Protagonist im neuen Roma von Thomas Hettche heißt auch Thomas Hettche.Ein Mann um die 50 entflieht seinem Alltag aus der Stadt, vom Job, von den er gerade entlassen wurde, weil er nicht mehr zeitgemäß unterrichtet. Er geht in die Schweiz, dorthin, wo seine Eltern ein Wochenendhaus hoch in den Bergen hatten. Sie sind verstorben und T. Soll nun enteignet werden. Das hängt mit dem Erdrutsch und dem Ausruf des Katastrophenstatusses zusammen. Die Gegend will sich abkapseln von der übrigen Welt. T. Hat viele Erinnerungen an seine Kindheit und die dort verbrachte Zeit. H. zeigt Klima- und Wetterveränderungen auf, H. Erzählt über Mythen, bearbeitet auch die Natur und Erdgeschichte. Es ist eine Liebesgeschichte, geht um Männlichkeit, ums gendern. Chancen für junge Menschen, aus dieser Abgeschiedenheit herauszukommen. Die Geschichte regt zum Nachdenken an, es ist anspruchsvoll geschrieben. Ein sehr empfehlenswertes Buch mit Tiefgang.
Ich möchte es gern weiterempfehlen.
Entlassen als ein nicht mehr tragbarer Dozent. Ein aus der Zeit gefallener, weisser Mann. Da kommt die Vorladung aus dem Wallis gerade zur richtigen Zeit. Sein Vater hat in Leuk seinen Lebensabend verbracht und ist vor Monaten verstorben. In der heilen Welt seiner Kindheit ist nichts mehr wie es war. Ein Bergsturz hat die Rhône zu einem riesigen See gestaut. Der Lötschberg-Basis-Tunnel ist geflutet und unpassierbar. Das Wallis ist nur noch über die Pässe erreichbar wie früher. An der Grenze wurde wieder die Brigade postiert. Ausländer sind nicht mehr willkommen. Sie sollen enteignet werden.
Mit „Sinkende Sterne“ versucht Thomas Hettche das aktuelle Weltbild und ein Zukunftsszenario zusammenzuführen. Er beschreibt ein dystopisches Bild der Welt. Berge, die in sich zusammenfallen. Die Vergangenheit wird wieder hergestellt und als heile Welt idealisiert.
Dieses Buch hat mir wieder einmal gezeigt, dass jedes Buch seine Zeit hat. Ich habe immer wieder pausiert, dann wieder von vorne angefangen. Ich war zerrissen. Irgendwie war ich schockiert über das Zukunftsbild, welches der Autor dem Wallis angedichtet hat. Anderseits war ich wieder fasziniert davon. Immer wieder mal streut er Dialektwörter ein. Das Spiel mit der Sprache liebe ich sehr. Schlussendlich habe das Buch innerhalb von 3 Tagen gelesen und war begeistert.
„Io sono una forza del passato”
In „Sinkende Sterne“ schreibt Thomas Hettche gegen das an, „was die puritanische Welt der Angst, die gerade entsteht, mit ihren Vorstellungen von Schuld und Reinheit zum Verschwinden bringen will“.
»Wenn wir lesen, Dschamīl«, sagte ich leise, »ist das so, als ob wir jemanden ansähen. Wir schauen einem Fremden ins Gesicht. Und Fremdheit ist fast das Wichtigste an Literatur. Moral hat dabei nichts verloren, gar nichts.«
Wer sich wie ich über die um sich greifende Bücher-Bereinigung ärgert und diese Eingriffe als gleichsam ahistorisch wie aliterarisch empfindet, wird „Sinkende Sterne“, den neuen Roman von Thomas Hettche, als Plädoyer für die Freiheit der Kunst lesen. Als Zeugen ruft Hettche die berühmtesten Vertreter der Weltliteratur auf und schafft durch geschickt geknüpfte Erzählfäden ein gelehrtes und gut zu lesendes Buch.
Zunächst kommt dieses als Dystopie daher, welche eine durch Klimawandel ausgelöste Naturgewalt beschreibt, die mich an Szenen von Ferdinand Ramuz erinnert. Auch Hettches Roman spielt in den Schweizer Bergen. Ein ungeheurer Bergsturz hat die Rhone gestaut, die Dörfer im Tal versanken in ihrem Wasser, im Oberwallis leben die Menschen seitdem in einer abgeschotteten Welt.
„Seit der Lötschbergtunnel geflutet ist und der Weg talabwärts versperrt, ist es fast wieder wie früher (…) Zwölf Pässe führen aus dem Oberwallis hinaus, Nufenen, Gries, Albrun, Ritter, Simplon, Antrona, Monte Moro und Theodul nach Süden, nach Norden Grimsel, Lötschen und Gemmi und nach Osten die Furka. Doch fast sechs Monate im Jahr sind alle verschneit, und das Tal ist verschlossen.“
In dieses kommt der deutsche Erzähler nicht als Eindringling, sondern auf Anordnung. Ein Ferienchalet, oberhalb von Leuk gelegen, das letzte Domizil seines Vaters, ist nach dessen Tod in seinem Besitz. Da die neu entstandene Gemeinschaft Isolation als Ideal betrachtet, besteht in der Causa Klärungsbedarf. Der Kastlan von Leuk, Jesko Zen Ruffinen, hat Thomas Hettche zu sich befohlen.
Ob Thomas Hettche mit seinem gleichnamigen Erzähler alles im Roman Geschilderte teilt, darf bezweifelt werden. Allerdings bietet er ihm und damit sich selbst durch das Setting einen abgeschlossenen Raum, der das Nachdenken über das Wesentliche erlaubt. Der Erzähler lebt in seiner abgeschiedenen Hütte, die fern von aller Ablenkung einsam oberhalb des Dorfes liegt. Kaum betritt er das Haus, fällt er in seine Kindheit zurück, in die Zeit der Ferien, die er immer mit seinen Eltern hier in den Bergen verbracht hatte. Damals hatte er ein Mädchen aus dem Dorf zur Freundin, Marietta, der er bald darauf begegnet. Zu ihr und stärker noch zu ihrer Tochter, der fünfzehnjährigen Serafine, findet er über die Liebe zur Sprache Vertrauen.
Sprache, Erzählen, Schreiben, alles, was Literatur vermag und ihre unbedingte Freiheit sind die Kernthemen dieses Romans, die Hettche in vielfältiger Weise variiert. Daneben treten im Handlungsgeschehen die Folgen der Naturkatastrophe eher in den Hintergrund. Doch schildert er mit subtilem Sarkasmus die Oligarchie der Alteingesessenen, die das Übel zu einer Tugend machen, aus dem sich noch Geld schlagen lässt. „Energie ist jetzt das Metier der Herren von Leuk. Sie halten den See, der entstanden ist, für einen Schatz. Und haben damit nicht unrecht. Die Wälder des Kontinents brennen bereits, und die Flüsse beginnen zu versiegen. Nichts ist in Zeiten der Klimaerwärmung wichtiger als Wasser. Warum sollte nicht im Oberwallis das Wasserschloss Europas entstehen?“
Die zur Klärung der Besitzangelegenheit vom Notar seines Vaters eingefädelte Begegnung mit der Bischöfin von Sion, einem Hermaphroditen, führt in ihrer Überspitztheit wieder zum Kernthema. Der Erzähler ist sich seiner Ambivalenz gegenüber dieser Figur bewusst, er bewundert ihre Schönheit, aber ihn stört die Grenzüberschreitung. „Fürchte dich nicht“, sagt sie sanft. »Alles ist möglich. Während die alten Götter die Welt aus dem schufen, was da war, hat unser Gott sie aus dem Nichts gemacht. Und er ermuntert uns, es ihm gleichzutun. Wir sind die Auffahrtsrampe zur Überwindung des Fleisches. Wir können die Welt so konstruieren, wie wir es wollen. (…) Und jeder Mensch ist Teil einer bestimmten Kultur. Niemand hat das Recht, ihn für die Verwirklichung seiner Träume zu kritisieren.« »Das stimmt.« Wie schön sie ist, dachte ich wieder und verstand genau, worauf sie hinauswollte. Zu oft hatte ich diese Argumente schon gehört. » (…) »Aber die Freiheit, von der Sie sprechen, wird begrenzt durch die Natur, zu der wir gehören.«“
In der Kultur hingegen herrscht die unbedingte Freiheit. Neben Serafine, die die Tradition ihrer Heimat in ihrer Sprache und den Sagen ihrer Vorfahren weiterträgt, findet sich außer den Helden der Literatur, darunter Homers Odysseus und Sindbad aus Tausendundeinernacht, Dschamīl als profaner Mitstreiter, der syrische Student aus Hettches Seminar. Diesen und seine Stelle an der Universität musste der Schriftsteller aufgeben wegen „sexistischen Sprachgebrauchs“. Die Wokeness, der er sich ausgesetzt sieht, empfindet er als „Moralischen Terror“. Wollte er doch seinen Studenten Literatur als einen „Raum von Freiheit jenseits aller Moral“ öffnen. Als er Dschamīl, seinen einzigen Ex-Studenten, überreden will, eine alte arabische Ausgabe des Sindbad zu übersetzen, vermutet auch dieser, der Herausgeber des 1884 erschienenen Buchs sei sicher ein Kolonialist. Hettche entgegnet: „Ob er an irgendwelchen Kolonialverbrechen beteiligt war, interessiert mich nicht. Was zählt, ist, dass es das Buch gibt.“
Zur Verteidigung der Kunstfreiheit verwendet Hettche einen weiten Referenzrahmen. Da ist zunächst die Sprache, auch die des Wallis. Der Erzähler lauscht ihrem Klang und lernt von Serafine die alten Begriffe. Während der Autor von „Sinkende Sterne“ sie souverän setzt, um seinen Lesern die inneren und äußeren Welten zu beschreiben. Bisweilen erlaubt er sich auch einen Wortwitz. So verleiht er der Bischöfin ausgerechnet den Namen Noa de Platea und lässt der Beschreibung „sie war schwarz“ die Worte „Ich weiß“ folgen.
Exempel literarischer Kunst finden sich in großer Zahl in diesem Roman, neben den bereits genannten und weiteren großen Werken aller Epochen spielen die Sagen des Wallis eine bedeutende Rolle. Auch die Bildkunst hat ihren Platz, Leonardos Dame im Hermelin, die Madonna del Parto von Piero della Francesca oder der Torso eines Kriegers aus Agrigent. Das Verbindende zwischen Literatur, Bildender Kunst und Musik sieht Hettche in der Schönheit. Sie ist der Antrieb zur Kreativität. Aus diesem Grund fordert er Serafine und Dschamīl auf, sich zu erinnern, zu erzählen und alles aufzuschreiben. Das Schreiben, weiß er, hilft sich immer wieder neu zu ergründen.
»Aber was willst du hier, Thomas?« Ja, was? Ich wusste es nicht. Nur, dass es mit dem Tod meines Vaters zu tun hatte und mit der Erinnerung an meine Kindheit, mit Dschamīl und dem, was das Schreiben eigentlich für mich war. Thomas Hettche erschafft hinter einer Dystopie, einen Naturroman, eine Jugendnostalgie, ein Vaterbuch und ein Alterswerk, alles vereint durch sein literarisches Kunstverständnis. Seine Naturbeschreibungen lassen Gewalt aber auch Schönheit spüren. Zusammen mit der Umgebung des Chalets verwandeln sie ihn wieder zum Kind. Als er im Garten unter der Arve sitzt, erkennt er den Baumnamen als Anagramm, das mit seinem Initial zu „Vater“ wird. Seine Reflexionen münden darin, den Sinn seines Lebens in der Literatur zu sehen. Deren Freiheit will er gegen alle Widerstände verteidigen, auch wenn er sich fragen muss, „galt tatsächlich all das nicht mehr, woran ich immer geglaubt hatte?“. Ist er, wie Pasolini es schon formulierte, „eine Kraft der Vergangenheit“?
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