Die rissige Brücke über den Bosporus
Ein Jahrhundert Türkische Republik und der Westen
von Can Dündar
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Erscheinungstermin 05.10.2023 | Archivierungsdatum 01.06.2024
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Zum Inhalt
Can Dündar, in der Türkei als »Terrorist« gesucht und in Abwesenheit zu über 27 Jahren Haft verurteilt, erzählt mit präzisem Blick auf die letzten Jahrzehnte und die Ereignisse um die Schicksalswahl im Mai 2023 vom hundertjährigen Ringen der Türkischen Republik um eine freie Gesellschaft. Kaum ein Jahr ist für diesen wichtigen Partner Europas so existenziell wie dieses!
100 Jahre ist es her, da zerfiel das marode Osmanische Reich und die Türkische Republik wurde gegründet. Diese wollte ein radikal moderner Staat werden: mit Übernahme europäischer Rechtssysteme, europäischem Kalender, lateinischer Schrift, freien Wahlen, Gleichstellung der Geschlechter, Gewaltenteilung und und und – ein Programm, moderner und säkularer als fast überall sonst auf der Welt. Die Brücke nach Europa wurde geschlagen, und die Anstifter dieser Entwicklung waren nicht etwa fortschrittliche Parteien, sondern das Militär. 1952 wurde die Türkei Teil der Nato, aber ausgerechnet die Einführung eines Mehrparteiensystems gab den islamistisch-konservativen Kräften Auftrieb, zwischenzeitlich gab es Putsche, Parteienverbote, Kriegsrecht.
Als Erdoğan 2013 Ministerpräsident wurde, wollte er das Land zwar in die EU führen, aber nachdem seine Partei mächtig geworden war, nahm der Staat unter ihm immer autokratischere Züge an. Die Opposition wurde in die Enge getrieben, jedes kritische Denken abgestraft. Erdoğans Regierung intensivierte die Unterdrückung der Kurden, führte Krieg in Syrien und im Irak. Sie änderte die Verfassung, nahm Wirtschaft und Justiz an die Leine, ließ Kritiker und Oppositionsparteien verbieten. Niemand ist vor Verhaftung gefeit, die Vorwände können noch so bizarr sein. Vor und nach der Wahl ist das Land zerrissen wie nie zuvor.
Can Dündar erzählt davon, und von einem Jahrhundert dramatischer Ereignisse und des Ringens. Und er gibt einen Ausblick, wie es mit dem Land weitergehen könnte.
Can Dündar, in der Türkei als »Terrorist« gesucht und in Abwesenheit zu über 27 Jahren Haft verurteilt, erzählt mit präzisem Blick auf die letzten Jahrzehnte und die Ereignisse um die Schicksalswahl...
Verfügbare Ausgaben
AUSGABE | Anderes Format |
ISBN | 9783869712901 |
PREIS | 23,00 € (EUR) |
SEITEN | 240 |
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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder
Can Dündars neues Buch „Die rissige Brücke über den Bosporus“ zeigt Veränderungen in der Türkei mit Schwerpunkt der Machenschaften von Erdogan.
Can Dündar ist ein erfahrener Journalist, doch er ist natürlich auch selbst betroffener, der in der Türkei verhaftet war und auf den es einen Mordanschlag gab.
Daher schreibt Dündar sehr emotional, was man als deutscher Leser von politischen Sachbüchern nicht so gewohnt ist.
Dündar zeigt auch die Verhältnisse anderer Länder, insbesondere Deutschland und ihr Verhältnis zur Türkei. Dabei wird eine gewisse deutsche Akzeptanz dafür gezeigt, dass die Türkei die Demokratie weitgehend aufgegeben hat und dass sich Menschenrechtsverletzungen sowie staatliche Beeinflussung des türkischen Rechtssystems durchgesetzt haben.
Ich kann Dündars Skepsis gut verstehen, denke aber auch, dass Deutschland nicht schuld ist. Das hat die türkische Bevölkerung durch ihr Wahlverhalten selbst zu verantworten.
Dündar geht aber in seinem Buch auch in die Vergangenheit der türkischen Entwicklung.
Mich persönlich haben aber die Abschnitte über die aktuelle Situation mehr interessiert.
Es gelingt Dündar den emotionalen Zustand der Menschen zu zeigen, die die Türkei verlassen mussten und im Exil leben. Dazu gehört auch die Fassungslosigkeit, dass Erdogan die letzte Wahl wieder gewonnen hat.
Es ist kein optimistisches Bild, dass der Autor vom Weg der Türkei zeichnet und doch bleibt eine Spur Hoffnung, denn Erdogan ist nicht die ganze Türkei.
Kurzmeinung: Feiern ist nicht, trauern ist angesagt.
Die Türkei feiert 100 Jahre Republik.
In „Die rissige Brücke über den Bosporus“ beklagt Can Dündar, dass die 1923 begonnene Reform der Türkei durch Kemal Mustafa Atatürk, sein gewaltiger Versuch, aus der Türkei einen modernen Staat zu machen, eine Republik mit demokratischen Grundsätzen, 2023 zu Grabe getragen wird. Zitat: „Ins Jahr 2023 geht Ankara mit dem Traum, die hundertjährige Parenthese der Republik zu schließen und unter Führung Erdoğans ein neues, auf dem Islam basierendes Reich zu schaffen.” Bewegend beginnt Dündars Analyse der Türkei mit der Wahlnacht am 28. Mai 2023. „Es war als hätten wir keine Wahl verloren, sondern ein Land“.
Nachdem Mustafa Kemal Atatürk seinem Land 1923 mit eiserner Hand Reformen aufgezwungen hatte, von denen manche sinnvoller gewesen sind als andere, denn warum sollte man seinem Volk „westliche Musik“ aufzwängen, versäumte er es, die Menschen für seine Reformen zu gewinnen. Fast vom ersten Moment an formte sich eine starke Gegenbewegung, die im Laufe der Jahre politischer und fordernder wurde. „Zwar hatte das Regime gewechselt, doch die Gesellschaft stand weiterhin unter dem Einfluss des religiösen Fanatismus, der sich jahrhundertelang gegen die Einführung des Buchdrucks, die Modernisierung der Armee, die Emanzipation der Frau, die Entwicklung der Kunst und gegen die Westausrichtung des Landes gewehrt hatte.“ Atatürk schlug jede Gegenbewegung blutig nieder. Er hatte weder die Zeit noch die Geduld, die Bevölkerung auf den neuen Weg mitzunehmen. Dies rächte sich bitter.
Der Gewohnheit, sich mit dem politischen Gegner nicht zu messen und auszutauschen, das Volk nicht einzubinden, folgten (fast) sämtliche führenden Politiker. Es ging hin und her. Doch egal, welche Partei und Meinung gerade vorherrschend war, der Richtungsstreit war immer durch politische Morde, Pogrome, Folter und Wegsperren begleitet. Bis heute ist die türkische Republik geprägt von Gewalt. Bald kann man nicht mehr von einer Republik sprechen. Der Laizismus (Trennung von Staat und Religion) ist längst schon auf der Strecke geblieben.
Der Kommentar:
Can Dündar nimmt seine Leser mit in die wechselvolle Geschichte der letzten hundert Jahre der türkischen Politik. Er schreibt leicht verständlich, leidenschaftlich und berührend. Er arbeitet chronologisch und emotional. Das gefällt mir sehr gut.
Der Autor zitiert Çetin Altan, wenn er die Rolle der Militärs in der Türkei beschreibt: „Die türkische Demokratie ist eine Schaukel, die zwischen Kaserne und Moschee hin und herpendelt.“ Jahrzehntelang wachte das Militär über die Verfassung. „Aufgabe der Streitkräfte ist es, die türkische Republik zu sichern und zu bewahren“ – das Militär ging dieser Aufgabe solange nach, bis es von Erdoğan ausgeschaltet wurde. Dündar meint freilich, dass die Militärputsche dem Land nicht gut getan hätten. Die Generäle, die zeitweilig die Macht übernahmen und das Land regierten, ließen politische Gegner reihenweise hinrichten. Die letzten hundert Jahre waren politisch insgesamt eine Geschichte von Gewalt und Unterdrückung ,freilich mit wechselnden Protagonisten. 1993 meint der Autor, war eines der schlimmsten Jahre in der Geschichte der Türkei. Mord und Terror. Attentäter, die als Motiv einen religiösen Grund angaben, wurden oft nach wenigen Monaten Haft wieder auf freien Fuß gesetzt.
Manchmal vermerkt man negativ, dass ein Journalist kein Historiker ist, da fehlen Bezüge hier und da, Zusammenhänge, die für Can Dündar als Türke so selbstverständlich sind, dass er sie nicht erwähnt, sind es für mich nicht. Manchmal merkt man positiv, dass ein Journalist kein Historiker ist, da wird es kenntnisreich intim und ich erfahre Wahlslogans und Spitznamen und andere Details, die mir die Geschichte dieses Landes nahe bringen und die ein Historiker um der roten Linie willen, weglässt. Man kann in einer Rezension nicht alle markanten Geschehnisse bringen, lese man das Sachbuch selber, um besser Bescheid zu wissen. Schlagworte sind Reformen, Putsche, Gezi-Park, Pogrome, das größte Journalistengefängnis der Welt, "geheimer Staat im Staat", pol. Kampf um den Anbau von Schlafmohn, wirtschaftlicher Aufschwung genauso wie Inflation, Annäherung (abwechselnd) an West und Ost, Gülen-Bewegung, etc. etc.
Gegen Ende schlägt das türkische Erbe Can Dündars, der seit sieben Jahren im deutschen Exil lebt, durch. Er erliegt der Versuchung nach guter alter Ostmanier, den Westen, die EU, die NATO, USA, good old Germany, whosover, für die Misere der Türkei verantwortlich zu machen. Sicher, es wurden Fehler gemacht. So wie halt immer Fehler gemacht werden. Doch das Abgleiten der Türkei von einer mehr oder weniger stabilen Demokratie in eine festgemauerte Autokratie haben die Türkei und ihre Wählerschaft ! ganz allein zu verantworten.
Eine Zeitleiste und ein Namensverzeichnis im Anhang runden dieses Sachbuch ab.
Fazit: „Die rissige Brücke über den Bosporus“ ist eine leidenschaftliche, flüssig geschriebene, gar nicht trockene Geschichtserzählung der letzten hundert Jahre Türkei mit Schwerpunkt auf der Politik. Historiker sind oft zu trocken; Journalisten manchmal ungenau. Aber das tut der Lektüre keinen Abbruch. Ich empfehle dieses Buch!
Kategorie: Sachbuch. Türkei. 100 Jahre Türkei
Galiani Berlin, 2023 (Imprint von KiWi).
Quo vadis Türkei?
Im Jahr 2023 feiert die Türkei ihren 100. Geburtstag als Republik. Can Dündar, ein seit mehreren Jahren in Deutschland im Exil lebender türkischer Journalist zieht Bilanz über diese 100 Jahre, die vor allem von zwei Männern dominiert wird: Mustafa Kemal Pascha Atatürk und Recep Tayyip Erdoğan.
Dündar, der in seiner Heimat Türkei als „Terrorist“ zu 27 Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er einige, dem Präsidenten nicht genehme Zeitungsartikel geschrieben hat, erzählt eingangs wie er und zahlreiche andere Exil-Türken die Wahlnacht vom 28. Mai 2023 erlebten, als Recep Tayyip Erdoğan abermals zum Präsidenten gewählt worden ist.
„Unser Land brannte, die Massen feierten, stolz darauf Benzin in das Feuer gegossen zuhaben, das sie selbst versengte. Und wir schauten aus der Ferne zu, verzweifelt, weil wir keinen Eimer Wasser reichen konnten, um das Feuer zu löschen, das auch unsere Liebsten verbrannte.“ (S. 10)
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Der Autor versucht, in 16 Kapiteln darzustellen, wie sich die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich in einen autokratischen Staat entwickeln konnte. Dazwischen liegen neben den Modernisierungsmaßnahmen von Atatürk zahlreiche Militärputsche.
„Immer wenn die Zivillisten das Land in Sackgasse manövrieren, kommt das Militär und rettet es.“ (S. 89)
Nur, wo steht das Militär heute? Ob es das Land aus der aktuellen Sackgasse holen kann? Und zu welchem Preis?
Can Dündar zeigt auch die Beziehungen zwischen der Türkei und anderen Ländern, insbesondere Deutschlands auf.
Das Bild, das der Autor von der Zukunft der Türkei zeichnet, ist kein optimistisches. Immer wieder glimmt zwar ein Funken Hoffnung auf, denn die Opposition arbeitet unter Einsatz des eigenen Lebens versteckt weiter. Doch mit diesem Präsidenten an der Spitze ist die Kluft innerhalb des Landes breiter als je zuvor.
Fazit:
Ein eindrucksvolles Porträt eines Staates, der 100 Jahre nach seiner Gründung wenig Grund zum Feiern hat. Gerne geb eich hier 5 Sterne.