Rezension

Cover: Der Zündhölzli Bub

Der Zündhölzli Bub

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Abhängigkeiten

Weißbrügg in den Schweizer Alpen, Oktober 1849: Jakob und Josef werden zu Halbwaisen, als bei der Geburt ihrer kleinen Schwester Mina die Mutter stirbt. Eine harte und entbehrungsreiche Kindheit mit einer strengen Stiefmutter wartet auf die beiden Burschen, lange und mitunter gefährliche Arbeitstage in der örtlichen Zündholzfabrik prägen den Alltag leider viel öfter als Stunden bei der verständnisvollen Tante Margot oder abwechslungsreiche Tage mit Onkel Gustl auf der Alm. Drei Jahrzehnte später gebiert Jakobs taube Tochter Gretl einen Buben, der angesehene Fabrikbesitzer Lauber soll sie vergewaltigt haben. Das Wort eines Reichen steht gegen jenes einer Behinderten …

Mit einem berührenden Vorwort beginnt diese bittere Geschichte, denn sie beruht auf wahren Begebenheiten und betrifft die Vorfahren der Autorin Rowena Kinread. Sehr detailliert und lebendig schildert sie den harten Alltag im abgeschiedenen Schweizer Alpendorf, in dem Armut und Hunger herrschen. Die Idee, Zündholzfabriken anzusiedeln, um Arbeitsplätze zu schaffen, geht nur bedingt auf, denn die Löhne sind gering und die Arbeit brandgefährlich im wahrsten Sinne des Wortes. Durch die steigende Zahl an Betrieben und den damit verbundenen Wettbewerb spitzt sich die Lage zu, immer mehr Kinder müssen bis zu vierzehn Stunden lang in dunklen Räumen mit schlechter Luft Zündholzschachteln kleben und Rahmen füllen, um das Überleben der Familie zu ermöglichen. Auch wenn Lehrer und Pfarrer für bessere Bedingungen kämpfen, so müssen sie ihre Grenzen hinnehmen und das Leben akzeptieren, so wie es hier seinen gewohnten Lauf nimmt. Die Vergewaltigung von Gretl jedoch ändert dann so einiges.

Ein sehr bewegendes Buch, das in den Alltag von Arm und Reich blickt, das Standesunterschiede aufzeigt und die Ohnmacht derer, die abhängig sind von Arbeit und Lohn, und trotzdem mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Ein Buch, das von Kindern erzählt, welche lange Tage einer Fabrik zubringen müssen und kaum eine freie Minute zum Spielen haben, denn vor dem Schlafengehen und am Sonntag muss im Haus und auf dem Hof geholfen werden. Schlimme Zeiten mit wenigen Lichtblicken, aber irgendwie muss es ja immer weitergehen.

Wunderbar charakterisierte Figuren und viel Liebe zum Detail trösten über den zuweilen recht einfach gehaltenen Schreibstil hinweg. Da ich nicht beurteilen kann, ob so manch holprige Passage vom Original stammt oder der Übersetzung zugrunde liegt, sehe ich von einer Minderung der Bewertung ab. Dies würde dem Inhalt dieses Buches wahrlich nicht gerecht werden. Somit freue ich mich sehr, dass dieses traurige, aber dennoch wichtige Stück Zeitgeschichte zu mir gefunden hat und ich Einblick bekommen habe ins damalige Leben, mitfühlen durfte mit der einfachen Bevölkerung, die fast immer ein offenes Ohr hat für die Schwierigkeiten von Verwandten und Freunden und wo fast jeder hilft, wo er nur kann.

Ich empfehle „Der Zündhölzli Bub“ sehr gerne an all jene weiter, die interessiert sind an historischen Fakten und die Wahrheit nicht in Vergessenheit geraten lassen wollen.


Titel Der Zündhölzli Bub
Autor Rowena Kinread
ASIN B0CPFXQBBZ
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (347 Seiten)
Erscheinungsdatum 15. Dezember 2023
Verlag Goldcrest
Originaltitel The Matchstick Boy
Übersetzer Anne Eberhardt

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