Fang den Hasen

Roman

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Erscheinungstermin 10.03.2021 | Archivierungsdatum 10.04.2021

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Zum Inhalt

»Eine europäische Literatur, [die] vollbringt, was hervorragende Literatur vollbringen sollte – uns hoffen lassen, dass sich Wunder erfüllen. Lana Bastašićs Geschichten müssen erzählt werden.« Saša Stanišić

Als junge Mädchen waren sie unzertrennlich, obwohl sie gegensätzlicher nicht sein könnten: Lejla, die Schamlose, Unbändige. Sara, die besonnene Tochter des Polizeichefs. Eine zwiespältige Nähe aus Befremden und Anziehung. Eine außergewöhnliche Freundschaft, die plötzlich zerfiel wie das Land, in dem sie aufwuchsen. 12 Jahre ist es her, als Sara Bosnien verließ, um an einem besseren Ort ein neues Leben zu beginnen. 12 Jahre absoluter Funkstille, als ein Anruf sie in die verlorene Heimat zurückbringt. Die Rückkehr wird kein harmloses Wiedersehen zweier Kindheitsfreundinnen.
Mit einer fesselnden Sprache zwischen rebellischem Trotz und beißender Komik erzählt Bosniens aufregender Literatur-Shootingstar Lana Bastašić in »Fang den Hasen« von einer außergewöhnlichen Freundschaft in den Wirren der jugoslawischen Geschichte – ausgezeichnet mit dem Literaturpreis der Europäischen Union 2020.

»Eine europäische Literatur, [die] vollbringt, was hervorragende Literatur vollbringen sollte – uns hoffen lassen, dass sich Wunder erfüllen. Lana Bastašićs Geschichten müssen erzählt werden.« Saša...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783103970326
PREIS 22,00 € (EUR)
SEITEN 336

Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Zwei ungleiche Freundinnen

Die bosnische Schriftstellerin Lana Bastasic führt uns in ihrem Roman „Fang den Hasen“ nach Bosnien.
Die Geschichte wird aus Sarahs Sicht erzählt. Sie ist inzwischen Schriftstellerin geworden und fährt in ihren Geburtsort. Da wird sie von ihrer Freundin Leila gebeten, mit ihr nach Wien zu fahren. Sarah und Leila wurden am ersten Schultag Freundinnen. Als sie 15 Jahre alt waren kam es zu einem Bruch.

In dem Roman wird die Kindheit erzählt und teilweise in der Gegenwart, als die Frauen unterwegs waren.
Die Reise ist nicht immer ungetrübt.
Die Autorin hat einen guten Stil und lässt auch politisches einfließen.
Ein interessanter Roman über zwei unterschiedliche Charaktere.

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Sara und Lejla, zwei Freundinnen, die als Kinder unzertrennlich sind. Trotz ihrer Unterschiede, Sara ein eher besonnenes, vernünftges Kind, das als Tochter des Polizeichefs selten über die Stränge schlägt, Lejla, die ohne Vater aufwächst, rebellisch, wild und eigensinnig. Aufgewachsen in Bosnien, zerbricht die Freundschaft unerwartet und plötzlich, Sara flieht vor ihrer Vergangenheit, fängt ein neues Leben in Irland an, während Lejla zurück bleibt und mit dem Zerfall des Landes zurecht kommen muss. 12 Jahre sind vergangen, als ein Anruf die beiden wieder zusammen bringt.

Lana Bastašić hat einen wirklich tollen und intensiven Schreibstil. Abwechselnd folgt man den beiden Frauen in der Gegenwart auf ihrem Weg nach Wien und erfährt in Rückblenden mehr über die Kindheit in Bosnien. Die Sprache hat mich vom ersten Moment an gefesselt, sie ist manchmal derb und dann doch wieder sehr einfühlsam und bewegend und bringt die leisen zwischenmenschlichen Töne an die Oberfläche. Geschickt verwebt sie Gegenwart und Vergangenheit, führt den Leser behutsam zum Ende und erzählt eine Geschichte voller Humor und Biss. Auch die Geschichte Bosniens darf dabei nicht fehlen, denn sie ist eng verknüpft mit den beiden Frauen und ihrem Leben. Mir als Leserin hat diese Geschichte viel Anregungen gegeben, mich mehr mit diesem Land und seinen Bewohnern auseinander zu setzen.

Sara hat ihre Vergangenheit verdrängt, ihre Muttersprache vergessen, sie hat sich als neue Person erfunden der unabhängig von Bosnien leben kann. Doch als sie wieder mit Lejla vereint ist, kommt ihre Vergangenheit Stück für Stück zurück, die Sprache, die Kultur und auch ihre einstigen Gefühle. Bastašić lässt diese beiden ungleichen Freundinnen vor meinem Auge auferstehen, es fühlt sich nicht an, als würde man eine Geschichte lesen, viel mehr hat man das Gefühl selbst diese Frauen zu sein.

Man ist wie in einem Strudel gefangen und wird unweigerlich auf das große Ende hin getrieben. Hier ist auch mein vielleicht einziger Kritikpunkt, das Ende. Denn es erschließt sich mir nicht, hat mich irgendwie unbefriedigt zurück gelassen. Aber vielleicht passt auch genau das zu diesem Buch, dieses Ungewisse, es steht sinnbildlich für die beiden Frauen, die innerlich zerissen sind und die der ungewissen Zukunft entgegenblicken.

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Eine souverän geschriebene eindringliche Geschichte um zwei Freundinnen, die in ihre Vergangenheit und über den Balkan reisen nach etlichen Jahren Funkstille. Berührend, fesselnd und oft komisch - absolute Leseempfehlung!

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Ein Anruf katapultiert Sara aus ihrem Leben in Dublin zurück in ihre Kindheit und Jugend nach Bosnien. Einst waren sie und Lejla unzertrennliche Freundinnen, am ersten Schultag haben sie sich kennengelernt und selbst beim Studium noch die Bank geteilt. So gegensätzlich sie waren – Sara Tochter des Polizeichefs, immer eher zurückhaltend und nachdenklich, Lejla die Wilde aus der Familie mit zweifelhaftem Ruf – so eng war doch die Freundschaft. Ebenso zu Lejlas Bruder, der nur wenige Jahre älter für Sara der erste Kontakt zu einem Jungen darstellte. Bis Armin verschwand, wie so viele zur Zeit des auseinanderfallenden Jugoslawien. Doch nun ist er scheinbar in Wien und Lejla benötigt einen Fahrer, weshalb sie nach 12 Jahren Funkstille um Saras Hilfe bittet.

Lana Bastašićs Roman „Fang den Hasen“ wurde 2020 mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet. Dieser wird jährlich an aufstrebende Schriftsteller:innen verliehen und würdigt den Reichtum der zeitgenössischen Literatur sowie das kulturelle und sprachliche Erbe Europas. Obwohl die Autorin viele Jahre in Irland und auch Spanien lebte, erschien der Roman in bosnischer Sprache. Als Mitbegründerin des „3+3 sisters“ Projekts fördert sie Schriftstellerinnen des Balkans. Dort ist auch ihre Geschichte tief verwurzelt.

Das weiße namenlose Kaninchen, dem einst schon Alice in das Wunderland folgte, ist einer der wesentlichen Verbindungen zwischen Lejla und Sara. Immer wieder taucht der Hase und die Erinnerung an diesen bzw. auch dessen Nachfolger im Roman auf. Wie die andere literarische Mädchenfigur stößt auch Sara auf zahlreiche Türen, wenn auch in ihrem Gedächtnis, die sich nach und nach öffnen und all das, was sie viele Jahre vergessen glaubte, wieder hervorbringen.

Die Reise der beiden Freundinnen von Mostar nach Wien ist kein fröhlich-freudiges Wiedersehen. Eine hat sich davongemacht, im reichen Europa ein gutes Leben gefunden, während die andere zwischen den Trümmern des Balkankrieges über die Runden kommen muss. Konnten sie als Kinder noch über die Ungleichheiten und die Zugehörigkeit zu verschiedenen Volksgruppen hinwegsehen, war es für die jungen Erwachsenen nicht mehr möglich, die unterschiedlich verteilten Privilegien zu ignorieren.

Aus Sicht Saras wird die Begegnung mit der Vergangenheit geschildert. Dies ist notwendigerweise völlig subjektiv und wirft immer wieder auch Fragen auf - ist sie wirklich so unschuldig an der Situation, wie sie sich sieht? Sind ihre Erinnerungen korrekt oder hat sie sich etwas zusammengereimt, was für sie die günstigere Darstellung ist? Diese hindern sie jedoch nicht an einem humorvollen und oft ironischen Erzählton, der locker durch die Handlung trägt, auch wenn diese durchaus nachdenklich stimmende und hochpolitische Aspekte beinhaltet. Es ist kein harmloser Roadtrip, auf den sich beiden jungen Frauen begeben, dieser ist nur der Hintergrund, vor dem sich die Zerrissenheit einer ganzen Region offenbart.

Ein beachtenswertes Debüt, das unter einer lockeren Oberfläche einen tiefen Abgrund bereithält.

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Dürers Hase ist so etwas wie das versteckte Symbol dieses aufwühlenden Romans, der die konfliktreiche Geschichte zweier Kindheitsfreundinnen aus Banja Luka ebenso leidenschaftlich wie bildgewaltig erzählt und ihre später so divergierenden Lebenswege in Beziehung zu den Nachwirkungen der Gewalt und der ethnischen Konflikte im früheren Jugoslawien setzt. Ein tückisches Symbol allerdings, eines, in das sich der Zweifel an der scheinbar so realitätsgetreuen Abbildung eingeschlichen hat, und mit ihm die von der Autorin immer wieder mit einem fiktionsironischen Augenzwinkern aufgeworfene Frage nach dem Einfluss der Emotionen, der subjektiven Bilder des eigenen Innenlebens auf die Erzählung und ihre Verwobenheit mit dem immer nur bruchstückhaft funktionierenden Prozess der Erinnerung.

Dürers Hasen erwähnt, so erinnert sich die Ich-Erzählerin Sara, ihre Freundin Lejla das erste Mal, als die beiden Lejlas weißen Hasen, strenggenommen ein Kaninchen, beerdigen. Ihr Bruder Armin habe als kleiner Junge fasziniert das berühmte Kunstwerk angefasst und so im Museum den Alarm ausgelöst. Zu dem Zeitpunkt, als Lejla das erzählt, ist Armin bereits einige Jahre verschwunden, Schmerz und fehlende Worte haben die Beziehung der beiden heranwachsenden Freundinnen aus dem ohnehin nie vollkommenen kindlichen Gleichgewicht gebracht. Diese Szene ist eine der vielen eingeschobenen Erinnerungen der Ich-Erzählerin Sara an ihre gemeinsame Vergangenheit mit Lejla, die sie in diesen Einschüben stets in der Du-Form anredet, was der Lektüre eine große Intensität und Eindringlichkeit verleiht und durch die fingierte Dialogizität auch das enge, wenngleich sehr strapazierte Band zwischen den beiden Freundinnen spürbar macht.

Eigentlicher Ausgangspunkt der Erzählung ist ein Anruf Lejlas bei Sara nach zwölf Jahren Funkstille. Sara ist während des Studiums nach Dublin gezogen und dort geblieben, sie lebt mit einem Iren zusammen und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin, zu ihrer Familie sowie zu ihrem Heimatland Bosnien besteht so gut wie keine Verbindung mehr. Heimat ist für sie ein englisches Wort geworden, und dieses

"Home war nicht Bosnien. Bosnien war etwas anderes. Ein verrosteter Anker in irgendeinem verpissten Meer. Man schürfte sich auf und bekam Tetanus, auch nach so vielen Jahren."

Auch zwischen ihr und ihrer ehemals besten Freundin Lejla muss in der Vergangenheit etwas vorgefallen sein, so sehr wirft Sara dieser Anruf aus der Bahn. Doch obwohl sie gerne abweisend reagieren und Lejla mitsamt der ganzen Vergangenheit in Bosnien vergessen würde, lässt sie sich von ihr zurück in das Land ihrer Herkunft dirigieren: Sara soll Lejla in Mostar abholen und mit dem Auto nach Wien fahren — wo Lejlas Bruder Armin nach all den Jahren wieder aufgetaucht sein soll. Der abwesende Armin, das wird im Verlauf der Erzählung immer deutlicher, ist noch immer latentes Bindeglied und wunder Kristallisationspunkt so vieler unausgesprochener Ängste und unverarbeiteter Erinnerungen im Leben der beiden jungen Frauen, er ist ein gegenseitiges unausgesprochenes Versprechen, das gebrochen wurde, und das nun viele Jahre später vielleicht wieder erneuert werden kann?

"Wir wussten, dass Armin am Leben war. Dieses Wissen verband und mehr als die gemeinsame Schulbank. Jetzt war es unsere Pflicht, bis ans Ende zusammenzubleiben, so lange, bis dein Bruder wieder auftauchte. Wenn wir uns zerstritten, wenn wir uns trennten, würde sich mit uns auch dieses fragile Wissen auftrennen. Als wäre im Stoff unserer Freundschaft sein ganzes Leben eingewebt. Es gab ihn nur noch dort."

Die Reise von Lejla und Sara ist eine Reise in die gemeinsame Vergangenheit und in die Vergangenheit ihres Landes. Die Ich-Erzählerin formuliert es einmal so:

"Durch Bosnien zu fahren verlangte eine andere Dimension: die eines verkehrten Wurmlochs, das nicht zu einem äußeren, wirklichen Bestimmungsort führt, sondern in die düsteren, kaum begehbaren Tiefen des eigenen Wesens."

Die Wiederannäherung der beiden Frauen gestaltet sich dabei genauso schmerzhaft, verletzend und widerborstig wie Saras Wiederannäherung an das von ihr zurückgelassene Heimatland, auf das sie auch körperlich geradezu mit Abwehr reagiert und das doch mit aller Macht wieder von ihr Besitz ergreift. Sie stellt sich vor, wie Lejla ihr neues Dubliner Leben abschätzig begutachtet, und in diesem imaginierten Blick liest sie ihren eigenen schonungslosen Blick auf sich selbst, den sie in Bosnien, in Lejlas Anwesenheit nicht mehr unterdrücken kann:

"Sie [Lejla] würde nicht mal etwas sagen, nur mit den Augen würde sie mir Europa ausziehen wie einer Neureichen den Pelzmantel und die Narben des Balkans schamlos an die Öffentlichkeit zerren."

Die individuelle Geschichte der einander in Hassliebe verbundenen Freundinnen erinnert nicht nur wegen der vielschichtigen Gefühlsebenen, sondern auch wegen der selbstreflexiven Elemente des Textes an Elena Ferrantes neapolitanische Protagonistinnen; in beiden Texten ergibt sich eine wesentliche erzählerische Spannung daraus, dass die eine der Freundinnen, die schriftstellernde, das immer wieder sich entziehende und so faszinierende Wesen der anderen, daheim und arm gebliebenen, einzufangen versucht. Das ist bereits für sich literarisch und emotional überzeugend erzählt. Doch in diesen individuellen Lebens- und Gefühlswegen der Figuren spiegelt sich, ohne dass diese Überlagerung überstrapaziert würde, die Geschichte des von einem schrecklichen Krieg noch immer versehrten Landes und die Geschichte einer ganzen Generation, die das Erbe dieser Gewalt auf ihren Schultern trägt und sich zwangsläufig zu diesem irgendwie verhalten muss.

Die politischen und religiösen Konflikte sind in Bastašićs Text auf unterschwellige Weise omnipräsent, doch kommen sie nicht in der direkten Darstellung kriegerischer oder verbrecherischer Handlungen, sondern eher andeutungsweise und sekundär, oft auch in den psychischen und gleichwohl ganz realen Auswirkungen auf die Menschen zum Vorschein. So ist die Gewalt latent vorhanden, wenn Lejlas Bruder verschwindet, während ein gleichfalls muslimischer Freund von ihm später tot aus dem Fluss gefischt wird. Oder wenn Lejlas Familie ihren Namen ändert, das Muslimische daraus tilgt, so dass aus Lejla Begić auf einmal Lela Berić wird. Der gewaltsame Mechanismus von Inklusion und Exklusion wird auch von der Ich-Erzählerin Sara unbewusst imitiert, als sie sich, anders als ihre Freundin Lejla, der stärkeren Schülergruppe anschließt und ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen tötet, was in ihr ein Scham- und Schuldgefühl gegenüber Lejla hervorruft, das sie lange nicht recht einordnen kann. Doch vor dem Hintergrund einer anderen Szene im Elternhaus von Sara, an die sie sich später wieder erinnert, bekommt dieses brutale Kinderspiel noch eine ganz andere Dimension: Etwa zur gleichen Zeit nämlich, als Lejla zu Lela wird, feiert man bei Sara zuhause zum ersten Mal Slava, das traditionelle orthodoxe Fest zu Ehren des Familienheiligen, doch in der eigentlich nicht sehr gläubigen serbischen Familie, die auf diese Weise ihre Zugehörigkeit zur staatstragenden Mehrheit nach außen zur Schau tragen will, wirken die festlichen Handlungen unbeholfen, aufgesetzt. Die Polarisierung und Politisierung des Glaubens deutet sich in solchen Szenen und Bildern immer wieder an, ohne explizit als solche benannt zu werden.

Aus all diesen Szenen, die vor dem inneren Auge der Erzählerin wieder aufleben, setzt sich die Geschichte der beiden jungen Frauen erst andeutungsweise und dann in immer größerer Dichte zu einem komplexen und spannungsreichen Erinnerungsbild zusammen. Dabei wird das Prozesshafte des Erzählvorgangs immer wieder herausgestellt, es ist ein Erzählen, das seine Subjektivität hervorkehrt, das zweifelnd, suchend, verwerfend, fragend, tastend vorgeht, und sich hütet unumkehrbare Urteile zu fällen. Sara ist sich der Subjektivität und Lückenhaftigkeit ihrer Erinnerung bewusst:

"Vielleicht ist das Erinnern für mich wie ein zugefrorener See — trüb und glatt –, an dessen Oberfläche sich von Zeit zu Zeit ein Riss auftut, durch den ich meine Hand stecken und ein Detail, eine Erinnerung im kalten Wasser fassen kann. Doch zugefrorene Seen sind heimtückisch. Mal erwischt man einen Fisch, ein anderes Mal bricht man ein und ertrinkt. Aus Erfahrung weiß ich, dass fast alle Erinnerungen an die die Tendenz zu Letzterem haben. Deshalb hatte ich mich auch zwölf Jahre lang bemüht, mich nicht zu erinnern."

Und ebenso bewusst ist ihr auch die Schmerzhaftigkeit, die in der Erinnerung mit eingeschlossen oder, um im Bilde zu bleiben, eingefroren ist und die mit Wucht über einen hereinbricht, wenn der zugefrorene See des Vergessens Risse zeigt.

Eine weitere Protagonistin des Romans ist somit die metaphernreiche, bildgewaltige Sprache, mit der die Autorin die vielschichtigen Gefühle und Gedanken ihrer Figuren zugleich intensiv und doch mehrdeutig zum Ausdruck zu bringen versteht. Lana Bastašić neigt ein wenig dazu, sich von ihren schillernden Sprachbildern hinreißen zu lassen, doch sind diese stets auch durchdacht, tauchen an anderen Stellen leicht verändert wieder auf und machen den Text zu einer fortwährenden Metamorphose, die auch einen großen Lesesog erzeugt und einen davor bewahrt, in einem vorgefertigten Urteil über die Figuren und ihre Geschichten zu verharren. Trotzdem sucht die Ich-Erzählerin Sara, für die Sprache Beruf und Berufung ist, natürlich nach der Wahrheit in den Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit. Und war die Literatur nicht früher auch eine Art Code der Freundschaft der beiden Mädchen? Über Jahre hinweg spielten sie immer wieder das Spiel, anhand eines Zitats den Buchtitel zu erraten, aus dem dieses entnommen war. Dieses Spiel war auch ein Code des gegenseitigen Verstehens, eine Art uneigentlichen Sprechens, wie es ja auch die Sprache der Literatur kennzeichnet. Doch gerade von Lejla kommt der Vorwurf, Sara konstruiere nur eine Geschichte, die so nur in ihrer Fantasie stattgefunden habe; und tatsächlich streut die Autorin bzw. die Ich-Erzählerin selbst, indem sie punktuell auch Lejlas Gegenerzählungen wiedergibt, immer wieder Unsicherheitsstellen in den Text ein. Liegt die Wahrheit wirklich in den Worten? Und liegt das wahre Wesen Lejlas wirklich in ihrem alten Namen, mit dem nur Sara sie noch anredet, ihn symbolisch aufladend, ja fast magisch überhöhend?

Letztlich verhandelt der Roman nichts weniger als die Frage nach dem Verhältnis von Kunstwerk und Wahrheit, und folgerichtig stehen die beiden Frauen am Ende ihrer gemeinsamen Reise, die eigentlich kein konkretes erreichbares Ziel haben kann, sondern therapeutischer und metaphorischer Art ist, in Wien vor Dürers Hasen. Wird Sara hier den verschollenen Armin wiedersehen? Oder ist er ein sich längst von der Wirklichkeit entferntes Bild in ihrer Erinnerung geworden? So sehr sie die Wiederbegegnung mit diesem früher so faszinierenden Jungen herbeisehnt, der im gewaltsamen Chaos der ethnischen Auseinandersetzungen verschwunden ist, so sehr fürchtet sie sich auch vor der Konfrontation mit der Vergangenheit in einer Familie, in einem Land, in einer Zeit, die unübersehbare Narben hinterlassen hat, die auch nicht verschwinden, wenn man wie Sara Bosnien den Rücken gekehrt hat.

"Sie [Lejla] erinnerte mich daran, dass der natürliche Zustand dieser Welt Unordnung war und dass unsere Leben, die um die Anstrengung herum organisiert waren, Ordnung in all dieses Chaos zu bringen, eigentlich nichts anderes waren als ein Spiegelbild endloser Arroganz."

Sicher geht man nicht zu weit, wenn man die Autorin selbst ein bisschen in ihrer Ich-Erzählerin wiederzufinden meint; auch die in Bosnien aufgewachsene Lana Bastašić ist ausgewandert, hat in Irland gelebt, dann in Spanien, und auch sie verwandelt ihre Erfahrungen in Kunst, transponiert das Chaos der Welt in die alles andere als arrogante, vielmehr komplexe und ambivalente Sprache der Literatur.

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Eine Geschichte die in den Bann zieht. Es gab viel zwischen den Zeilen zu lesen, was mir denke ich einfacher gefallen wäre, mit ein wenig mehr politischen Hintergrundwissen zu Bosnien und dem Balkan. Sprachlich eine echte Wucht, sehr bildlich und fast schon poetisch. Es gab einige Sätze zu markieren! Zum Schluss bleibt der Leser etwa so ahnungslos, wie Sara vor dem Hasenbild von Dürer...

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Dieses Buch habe ich in einer Buchempfehlung im TV gefunden und mich extrem gefreut es zu lesen. Es ist ein sehr dicht geschriebener Roman der mich begeistert hat. Ich bin begeistert, dass eine so junge Autorin ein so gutes Buch geschrieben hat und die man merkt, dass dieses Buch leicht autobiographische Züge hat. Ich kann es sehr empfehlen auch wenn es sicher keine Sommer und Strandlektüre ist.

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Der Roman fesselt durch eine poetische Sprache, überzeugt durch Sprünge zwischen Realität und Fiktion, wobei man sich nicht immer sicher sein kann, in welchen Bereich die jeweiligen Kapitel einzuordnen sind.

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